Race Recap – Two Volcano Sprint 2020

Racing

Ein Rennen mit mehr als nur zwei Bergen: Raphaels Rennbericht vom Two Volcano Sprint 2020.

Der Two Volcano Sprint in Italien war mir im vorherigen Jahr entgangen. Vielleicht weil ich bis dato noch ausschließlich durch die Offroad Welt und nicht über glatten Asphalt rollte. Doch am Ende bewegte ich mich mit meiner Anmeldung dieses Jahr gar nicht so weit von den bisherigen Rennen weg: glatten Asphalt sollte es beim Rennen von Mittel- nach Süditalien ohnehin nicht geben.

Italien ist mein absolutes Lieblingsland. Dort habe ich die schönsten Urlaubsstunden verbracht, die beste Pasta genossen, mit den nettesten Leuten auf Piazzas gesessen und Espresso in lauten Bars getrunken bis ich Herzrasen hatte. Ob vor Italien-Verliebtheit oder wegen des Koffein-Schocks kann ich im Nachhinein nicht sagen.

Kurzum: In mir bricht immer eine typisch deutsche Dolce-Vita Sehnsucht und kulinarische Vorfreude aus, wenn es um Italien geht. Schon im letzten Jahr hatte sich meine Rennzeit beim Italy Divide, ein Off-Road self-supported Bikepacking-Rennen von Neapel bis an die nördliche Spitze des Gardasees, durch unzählige Stopps an Espresso-Bars und abendlichen Pizza-Pasta-Genuss länger gestreckt als gedacht.

Self-supported sollte der Two Volcano Sprint wieder werden. Nur eben auf der Straße. 

In Norditalien hatte ich bereits Alpen Erfahrung gemacht und war die entsprechenden Höhenmeter geklettert, in der Toskana hatte ich die Hügellandschaften befahren, aber von Süditalien kannte ich bisher nur die enormen Temperaturen im Sommerurlaub und den dunkel gerösteten Espresso, der weit unter einem Euro zu bekommen war. 

„Wo sollen hier die 23.000 Höhenmeter auf der zwischen den beiden Vulkanen Vesuv und Ätna liegenden 1.100 km langen Strecke liegen“, fragte ich mich als ich die Strecke studierte. Wie sich bald herausstellte wurden nicht nur meine geographischen Kenntnisse auf die Probe gestellt.

Sonntag, 18.10.2020, 5.30 Uhr – Avanti, avanti ! Rennstart in Neapel

Der Uhrzeit entsprechend schaute ich bei meiner Ankunft am Startpunkt in 60 müde Gesichter. 400 Höhenmeter hatte ich bereits bei der Anfahrt zum Start zurückgelegt. Die steilen Anstiege aus Ercolano gaben mir einen ersten Ausblick auf das was mich während des Rennens noch erwarteten würde. 

Den ersten Anstieg zum Vesuv war ich bereits am Vortag probeweise abgefahren. Jetzt fühlte sich der Anstieg deutlich schwerer an. Es war dunkel und mein Rad wog einige Kilo mehr als noch bei der Testfahrt. Als ich gerade mal die Hälfte des Berges hinter mich gebracht hatte, zischten die ersten Fahrer schon an mir vorbei. Sofiane als Erster, dicht gefolgt von Ulrich und Omar. „Meine Güte, wir haben noch über 1.000 Kilometer vor uns. Wozu die Eile?“, dachte ich mir und versuchte weiter am rot-blinkenden Licht meines Vordermanns dran zu bleiben. Oben angekommen gab’s eine kurze Kehrtwende und schon ging es wieder zurück – jetzt Richtung Süden für die nächsten 1.000 Kilometer. 

„Meine Güte, wir haben noch über 1.000 Kilometer vor uns. Wozu die Eile?“

Der nächste Anstieg lag in einem dichten Wald. Am Fuße hielt ich kurz an und nippte an meiner Flasche. Ich sah nach vorne und fühlte mich kurz wie in Christopher Nolans Film Inception, bei dem sich ganze Straßenzüge nach oben biegen und sich parallel zu einem aufstellen. Steil, Steil, Steil.

Nach 40 gefahrenen Switchbacks stand ich endlich oben, atmete tief ein und aus und fuhr den Berg wieder hinunter. 

Die nächsten 100 Kilometer entlang der Küsten gestalteten sich weniger Inception-mäßig, es ging schnell voran und ich konnte die Landschaft genießen – links erstrahlte das Meer vor einem wunderschönen Sonnenuntergang während in östlicher Richtung malerische Berge hervorragten.

Als ich in dem kleinen Örtchen San Nicolla Arcella einfuhr, war es schon dunkel. Hier sollte es vorerst die letzte Möglichkeit geben um Wasser und Essen aufzutanken. Denn von hier aus fuhren wir westlich in die Berge, wo Essensmöglichkeiten erfahrungsgemäß immer rar gesät und umständlich zu erreichen sind.

Die erste Nacht des Rennens wollte ich, ausgeruht und fit wie ich mich fühlte, durchfahren. Zunächst kam ich gut voran über die hügeligen Stolperstraßen Nord-Kalabriens. Dann wurde es schwieriger – immer wieder musste ich auf den Abfahrten scharf bremsen – große Schlaglöcher und fiese Gravel Abschnitte, die meine Konzentration und Kondition forderten, wechselten sich ab. 

Ich musste immer wieder an diese eine Juni-Nacht denken, in der ich die Apidura Parallels Challenge gefahren war. Gerade mal 4 Stunden Dunkelheit musste ich damals überbrücken. Jetzt waren es 13 Stunden! Um 4 Uhr legte ich mich auf den schmutzigen Boden eines alten, verlassenen Hauses zu einem Powernap hin. Es war kalt und das Mondlicht schimmerte durch die splittrigen Reste eines Fensters. Nach 20 min stieg ich aufs Rad und fuhr weiter. Die nächsten Stunden wurden ein echter Kampf mit meiner Müdigkeit, der Dunkelheit und der Kälte.

Mit dem Aufgehen der Sonne überholte mich plötzlich ein Fahrer. Max. What? Ich war vor Max? Offensichtlich, denn er hatte sich kurz schlafen gelegt. Max kannte ich bereits seit dem Silk Road Mountain Race und war über die letzten Monate ein guter Freund geworden. Die ganz großen Freudensprünge über das Wiedersehen blieben aber aus. Zu müde waren unsere Beine, zu durchgefroren unsere Körper. Nachdem wir ein paar Meter zusammengefahren und uns kurz über die Erlebnisse der letzten Nacht ausgetauscht hatten verschwand Max am nächsten Anstieg. 

Der zweite Renntag wurde lang und zäh. Die erste Nacht durchzufahren hatte ich fest eingeplant. Danach wollte ich schauen wie es läuft und dann entscheiden, ob ich die zweite Nacht noch durchfahren konnte um vor Einbruch der Dunkelheit am dritten Tag zu finishen oder ob ich noch einen weiteren Tag brauchen werde. Am Abend des zweiten Tages wurde deutlich, dass Zweiteres eintreten würde. Zu langsam schleppte ich mich über die bis zu 25 km langen Anstiege. Bei Kilometer 600 sollte es eine Unterkunft geben und ich entschied mich dort ein paar Stunden zu schlafen. 

Wie es so häufig ist im Leben: Es kommt anders als gedacht – die ersehnte Unterkunft war schon ausgebucht, sodass Max und ich in den nächsten Ort rollten und dort ein Zimmer bezogen.

Dienstag, 20.10.2020, 3.00 Uhr – Dai ! Weiter geht es

Ich war im Halbschlaf als der Wecker klingelte. Max stand auf, zog sich seine Radklamotten über und verließ das Hotel. Mit meinem Start musste ich noch warten. In der ersten Nacht hatte ich den ersten der drei Akkus für meine Helmlampe verbraucht. Anscheinend hat die geringe Temperatur in den Bergen einen viel stärkeren Einfluss auf die Akkulaufzeit als ich angenommen hatte. 50 % weniger Lebensdauer hatte ich auf jeden Fall nicht eingeplant. Kurzum, ich hatte nicht genug Akkus um noch 1,5 Nächste durch die Dunkelheit zu fahren. Also wartete ich noch drei Stunden und fuhr um 6 Uhr mit der aufgehenden Sonne los.

Ausgeschlafen und ausgeruht fühlte ich mich top-fit. Mein persönliches Ziel, die knapp 1.100 km in 80 Stunden zu schaffen war in greifbarer Nähe. Es macht eben doch ein Unterschied, ob man in der Nacht schläft oder nicht. 

Ich versuchte so effizient wie möglich zu fahren und machte wenig Pausen. Gegen Abend erreichte ich die Fähre und setzte nach Sizilien über. Einen Akku mit ca. 75 % Ladung hatte ich noch. Mist, auch das würde nicht reichen für die Nacht. Ich entschied mich dafür den ersten Anstieg nach Messina zu fahren um mich dann an der nördlichen Küste der Insel für 3 Stunden (zwangs-)schlafen zu legen. Hier war das Klima noch milde. In den Bergen sah das schon ganz anders aus. Dort wollte ich vermeiden in der Kälte ohne Licht dazustehen und weder weiterfahren noch schlafen zu können. Leider rückte dadurch mein 80-Stunden-Ziel außer Reichweite.

An der Küste fand ich ein verlassenes Fischerboot. Nachdem ich das Rad hinter dem Bootshaus versteckt hatte machte ich es mir auf dem Boden gemütlich. Schlafsachen hatte ich keine dabei. Es war kühl. Aber geschützt durch die hohe Brüstung des Bootes war es zumindest windstill. Für ein kurzes Nickerchen super und irgendwie wildromantisch.

Mittwoch, 21.10.2020, 4.00 Uhr – Sprint finale – Radfahren auf Sizilien

Ich war wach bevor der Wecker klingelte, packte mein Zeug und fuhr weiter. Hoffentlich würde das Licht bis zum Sonnenaufgang reichen. Von der Küste aus ging die Route wieder ins Landesinnere – rein in die Berge! Vor mir lag noch eine riesige Rampe (+ 1.130 hm) und zwei kleinere Anstiege (+ 800 hm), bevor der letzte Climb auf den Ätna (+ 1.400 hm) ganz kurz vom Finish entfernt war. 

Als ich den Gipfel des ersten Berges erreichte und nichts ahnend um die Kurve fuhr, stand er auf einmal vor mir: Der Ätna. Vor ein paar Jahren war ich schon mal durch Sizilien gereist. Damals mit dem Auto. Aber auch da war ich total fasziniert vom Anblick dieses riesigen, immer noch aktiven Vulkans. Ich erinnerte mich wie ich vor 4 Jahren nachts durch Sizilien fuhr und aus ca. 80 km Entfernung die rot-glühende Lava vom Krater herunterfließen sah. Dieses Mal sah ich große, graue, rauchige Wolken aus dem Krater empor heben und konnte die bevorstehende Abfahrt kaum Abwarten. „Ein Glück, dass ich kurz schlafen musste“, dachte ich mir. „Ansonsten hätte ich dieses Naturspektakel nur bei Nacht gesehen“. Oder eben gar nicht.

Ich zog mein Handy heraus, wählte meine Lieblingssongs und rollte hinunter. Endlich mal Asphalt der richtig gut rollt. Die leicht über den Bergen stehende Sonne war noch nicht stark. Aber es reichte den kühlen Fahrtwind auszugleichen. Nach 20 km war die wohl beste Abfahrt des Rennens vorbei. Dabei war mir die ein oder andere Träne über die Wangen gelaufen.

10 Uhr morgens. In meiner Euphorie bildete ich mir ein die 80-Stunden-Marke noch knacken zu können. Es waren nur noch zwei kleine Anstiege und der Ätna. Mein Proviant hatte ich bereits aufgebraucht. Ich fuhr durch ein kleines Dorf und bestellte eine letzte Espresso-Croissant Kombi. Um 11.30 Uhr stand ich am Fuße des Ätnas. Von der Euphorie war nicht mehr viel übrig geblieben. Den Kampf um die 80 Stunden hatte ich verloren. Egal, dann halt trotzdem so schnell wie möglich finishen. Ausruhen kann ich mich in ein paar Stunden im Ziel. Mit einer wohlverdienten Portion Pasta und einem großen Eis.

13.30 Uhr. Auf den letzten Metern des Anstiegs sah ich ein Paar, das mich wild in der Luft herumspringend und klatschend anfeuerte. Ich musste schmunzeln. Als ich näher kam erkannte ich Ulrich und seine Frau. Ulrich hatte die Route gerade erst in unglaublichen 53 h ohne größere Pausen gefinished. Anstatt sich seinen wohlverdienten Schlaf zu gönnen ließ er es sich nicht nehmen die anderen Fahrern auf den letzten Metern anzufeuern. Chapeau, klasse Typ! Ich hielt kurz an, gratulierte ihm zu seinem Wahnsinns Erfolg und rollte die letzten 20 Kilometer zur Zielgeraden nach Nicolosi.

Um 14.39 Uhr fuhr ich nach 81 h 9 min auf den zentralen Platz ein. Viele Fahrer versammelten sich dort und begrüßten die einfahrenden Finisher. Nach ein paar High-Fives verschwand ich mit einer Gruppe andere Fahrer in – na, ihr wisst es schon – eine Gelateria. 

Was für ein Rennen, was für ein Grande Finale! Grazie!

Alle weiteren Infos zum Rennen und die offiziellen Ergebnisse finden sich hier: https://www.twovolcanosprint.com/

Raphaels Abenteuern könnt ihr hier im Journal oder auf seinem Instagram Account folgen.

Foto Credits: Charlotte Gamus, Raphael Albrecht

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