Ein Prototyp kommt selten allein

Racing

Im Jahr 2022 ist der Weltradsportverband vollständig auf den Gravel-Zug aufgesprungen und hat die ersten offiziellen Weltmeisterschaften veranstaltet. Votec-Teamfahrer Thorben Haushahn war schon länger in das Projekt involviert, schließlich berät er den deutschen Radsportverband BDR als „Koordinator Gravel“ in sämtlichen Dingen, die Schotterwege beinhalten. Außerdem hatte er in Vicenza ein ganz besonderes Votec-Fahrrad dabei. Hier schreibt Thorben darüber, was noch unfertige Dinge bei ihm auslösen und was er von beiden Prototypen hielt.

Fotos: SCYENCE / Sebastian Samek

Das Jahr 2022 brachte für den Gravelsport viel Neues mit sich und so finden wir aktuell neben Aero-Gravel-Bikes und speziellen Gravel-Pumpen, -Schuhen und vielem mehr auch neue Rennformate. Sind in den USA Gravel-Rennen noch unter der Leitung privater und eigenständiger Event-Veranstalter, hat der Weltverband des Radsports, die UCI, für den vorrangig europäischen Raum beschlossen, ein einheitliches Konzept vorzustellen, und mit der UCI World Series ein Format geschaffen, welches ihr Highlight in Form der ersten Weltmeisterschaft am 3. Oktober in Vizenca, Italien gefunden hat.

So haben Gravel-Enthusiasten die Wahl, ob sie neben Gravel-Camps im Allgäu, Gravel-Festivals im Ruhrgebiet oder out of space beim Orbit-Festival über die UCI World Series ein Teil der wachsenden Gravel-Community werden wollen. Mit Sicherheit kann man die Gravel-Community noch weiter aufschlüsseln und neben Racern eine Menge Abenteuer und weiteres finden, jedoch tut die Gemeinschaft gut daran, sich in dem aktuellen Stadium geschlossen zu positionieren und jeden Fan dieser Sportart für sich zu reklamieren, egal mit welcher Geschwindigkeit und mit wie vielen Tagen und schlaflosen Nächten das geliebte Fahrrad durch die Natur gefahren wird.

Thorben Haushahn nach der Zielankunft der Gravel-WM 2022.

Italien als Radsportland

Anfang Oktober war der Fokus eindeutig auf Geschwindigkeit gelegt, und wie es sich für eine Weltmeisterschaft gehört, fanden sich die Besten der Szene und des gesamten Radsports ein. Mathieu van der Poel und Peter Sagan sind die wohl größten Namen im Radsport überhaupt und es war schön zu sehen, mit welcher Leidenschaft sie dieser neuen Disziplin entgegentraten. Italien ist als Radsportland bekannt. Hier wird noch im hohen Alter mit viel Tradition um „bella figura“ und „pasta bianca“ der Radsport gelebt wie wohl in keinem anderen Land der Welt. Und so hoben die Veranstalter innerhalb kürzester Zeit eine WM aus der Taufe, die es schaffte, alle Fahrerinnen und Fahrer zu verzaubern. Um allen Leistungs- und Altersklassen gerecht zu werden und ein möglichst spannendes Event zu ermöglichen, trennte man die Amateure von den Profis wie auch die
50-Jährigen von den 20-Jährigen. Gestartet wird dennoch zusammen im Abstand weniger Minuten und der Zauber der Stars aus der ersten Reihe verwandelt sich von Feenstaub in epischer Atmosphäre in den geliebten Graveldunst.

Anfang Oktober war der Fokus eindeutig auf Geschwindigkeit gelegt, und wie es sich für eine Weltmeisterschaft gehört, fanden sich die Besten der Szene und des gesamten Radsports ein. Mathieu van der Poel und Peter Sagan sind die wohl größten Namen im Radsport überhaupt und es war schön zu sehen, mit welcher Leidenschaft sie dieser neuen Disziplin entgegentraten. Italien ist als Radsportland bekannt. Hier wird noch im hohen Alter mit viel Tradition um „bella figura“ und „pasta bianca“ der Radsport gelebt wie wohl in keinem anderen Land der Welt. Und so hoben die Veranstalter innerhalb kürzester Zeit eine WM aus der Taufe, die es schaffte, alle Fahrerinnen und Fahrer zu verzaubern. Um allen Leistungs- und Altersklassen gerecht zu werden und ein möglichst spannendes Event zu ermöglichen, trennte man die Amateure von den Profis wie auch die
50-Jährigen von den 20-Jährigen. Gestartet wird dennoch zusammen im Abstand weniger Minuten und der Zauber der Stars aus der ersten Reihe verwandelt sich von Feenstaub in epischer Atmosphäre in den geliebten Graveldunst.

Votec VRX Carbon

Mein Gravel-Bike für komplette Saison 2022 ist ebenso ein Prototyp: das Votec VRX Carbon. Ein Fahrrad mit einer guten Basis, die aber noch etwas optimiert werden muss. Ein Fahrrad, das noch nicht fertig ist. Ein Fahrrad, das noch einen Praxistest braucht. Und den hat es bekommen. Das Votec VRX Carbon macht sehr viel Freude und ist mein neues Lieblingsrad geworden. Die größere Reifenfreiheit von bis zu 55 mm geben mir Freiraum für mehr Abenteuer. So fahre ich inzwischen fast alle meine Trainings mit 40–45 mm Bereifung. Das macht Eindruck bei den Group-Rides und die Roadies gucken nicht schlecht, wenn ich trotz der breiten und damit weniger aerodynamischen Gabel und profilierten Reifen an ihnen vorbeifahre.

Vor allem aber habe ich gelernt, dass der Gravel-Sport spezifische Skills braucht. Zum Beispiel ist es elementar, den Übergang zwischen verschiedenen Untergründen zu üben. Von Schotter auf Asphalt, von Moos auf Kies und alle anderen Kombinationen. Denn ein flüssiger Übergang spart immens viel Energie. Insbesondere bei Kurven teste ich, mit welchem Winkel ich ansteuern kann, um eingangs genug Geschwindigkeit zu haben und ausgangs der Kurve immer noch auf dem Rad zu sitzen und nicht wegzurutschen. Auf sechs bis sieben Stunden Rennzeit kann diese Art des Trainings meine „normalized power“ um knappe 10 – 15 Watt verringern. Dieser Wert ist von mir privat aus meinen Trainingsdaten erhoben und wissenschaftlich nicht validiert, bietet aber eine erste Orientierung. Wer braucht schon aero, wenn er Kurventechnik haben kann? Und das kann das Votec VRX Carbon sehr gut. Trotz 130 mm langem Vorbau und 40 mm schmalen Lenker kann ich mit dem Votec VRX Carbon kontrolliert und sauber um die Kurven führen und die nötige Geschwindigkeit beibehalten.

Es fragte mich zuletzt ein Radsportler auf einer Trainingsfahrt, ob ich in dem eher rechteckigen Unterrohr einen Akku eingebaut hätte und ein Gravel-E-Bike fahren würde. Hier musste ich ihn leider auf meine Power und die Fahreigenschaften des Rades verweisen und ihn letztlich enttäuschen, weiter selber in die Pedale treten zu müssen. Mit dem bald kommenden Votec VRX Carbon sollte das aber um einiges leichter fallen, als mit herkömmlichen Gravel-Bikes.

Es ist spannend, an Rennformaten und Fahrradkonzepten mitzuwirken: ein Prototypen-Leben, wo noch nichts fertig ist und gestaltet werden kann, entspricht mir sehr. Ein Leben mit mehr Risiko, das ist gewiss. Aber einer muss ein noch nicht ganz perfektes Gravel-Bike durch eine noch nicht ganz perfekte Weltmeisterschaft zu einem noch nicht ganz perfekten Podiumsplatz (der 4. Platz bei den Amateuren war es am Ende für mich) führen. Alles, damit am Ende des Prozesses ein Fahrerlebnis für alle Gravel-Fans entstehen kann, welches ein pures Lächeln ins Gesicht zaubert, den Sport weiter voranbringt und uns als Gravel-Community weiter zusammenwachsen lässt.

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